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Günther Wessel: Das schmutzige Geschäft mit der Antike - Der globale Handel mit illegalen Kulturgütern

  767 Wörter 3 Minuten 536 × gelesen
2018-08-21 2018-08-21 21.08.2018

Kunst und Verbrechen: Wer ist beteiligt?

Wer heute Griechenland besucht, tut das nicht immer nur wegen der einzigartigen Landschaft, den gastfreundlichen Menschen, dem guten Essen oder der griechischen Musik. Man besucht das Land auch wegen den nahezu allgegenwärtigen Resten der Antike und des Mittelalters, die Griechenlands Bedeutung für die Geschichte Europas bekunden und den Besucher, Freizeitler, Wanderer oder Wissenschaftler noch heute faszinieren und inspirieren können. Wer mit eigenen Augen die Zeugnisse der Vergangenheit sehen will, möchte aber oft nicht nur seine Erinnerungen als bleibendes Andenken mitnehmen, sondern darüber hinaus auch etwas Greifbares, einen Gegenstand, der später immer wieder die Erinnerung anregen kann. Das ist der Grund, weshalb es heute auf dem Plateau der Akropolis in Athen wohl keinen Krümel mehr geben dürfte, der aus antiker Zeit stammt, weil man immer wieder neue Marmorsteinchen für die Touristen herbeischafft, die von dort etwas Materielles mitnehmen wollen – auch wenn überall Schilder aufgestellt sind, die das strengstens verbieten. Und einmal ehrlich: Würden Sie die beim Wandern auf der Peloponnes zufällig gefundene Silbermünze im nächsten Dorf gleich wieder abgeben, statt sie lieber mit nach Hause zu nehmen?

So harmlos, wie sich hier der Wunsch nach persönlichem Besitz eines antiken Objektes darstellt, ist er mittlerweile schon lange nicht mehr. Als 2003 die Nachricht von der Plünderung des Museums von Bagdad um die Welt ging, war man zunächst vor allem empört über die Gleichgültigkeit der amerikanischen Besetzer, aber man wurde immerhin aufgerüttelt in Bezug auf die Funktion, die archäologische Funde für die Identität einer ganzen Kultur haben. Das war auch noch einmal der Fall, als die Terrorgruppe Islamischer Staat im Sommer 2015 die archäologischen Stätten von Palmyra erobert hatte, sie teilweise zerstörte, und den 81-jährigen Chefarchäologen Khaled Asaad wochenlang folterte, um von ihm den Aufbewahrungsort der zuvor in Sicherheit gebrachten Objekte zu erfahren. Doch im Unterschied zu den afghanischen Taliban, die bereits vor einigen Jahren aus fundamentalistischen Impulsen heraus unersetzliche Buddha-Statuen in tausend Stücke sprengten, wurde in Palmyra nicht kopflos zerstört, sondern bewusst unterschieden: Nur was man nicht abtransportieren und verkaufen konnte, wurde vernichtet, und dies auch nicht bloß aus naiv-religiösem Fanatismus, sondern um mit dem Schreckenspotential dieser Aktionen auf der Basis der medialen Verbreitung psychologische Kriegsführung zu betreiben.

Während heute die Augen der Weltöffentlichkeit schon wieder auf andere Schauplätze gerichtet sind, bleibt es weiterhin wahr: Nach Waffenhandel und Drogenschmuggel ist der illegale Handel mit Antiken mit einem geschätzten Umfang von 6 bis 8 Milliarden US-Dollar jährlich nicht nur der drittgrößte Posten der organisierten Kriminalität weltweit, sondern zugleich eine der maßgeblichen Finanzquellen des IS, wie schon 2015 nachgewiesen werden konnte. Und: Deutschland ist weiterhin eine der prominentesten Plattformen für den illegalen Handel mit Antiken. Würden hier die Gesetze so verschärft, wie es eigentlich nötig wäre, um den illegalen Handel energisch zu unterbinden, würde der Antikenhandel in Deutschland nach Aussage von Fachleuten regelrecht zusammenbrechen. Doch finanzstarke Händler finanzstarker Kunden haben auch eine entsprechend starke Lobby auf politischer Ebene, um dies zu verhindern.

Der Journalist Günther Wessel hat zwischen 2014 und 2015 auf diesem Felde nicht nur umfassend recherchiert, sondern auch eine Fülle an Interviews mit maßgeblichen Vertretern der Szene geführt, von Museumsleitern über Vertreter von Interpol, Historiker, Politiker, ehemalige Kunsthändler und Antikensammler bis hin zu Ursula Kampmann, der Sprecherin der International Association of Dealers in Ancient Art, die verständlicherweise das vitale Interesse derjenigen vertritt, die ihren Ruf als seriöse Kunsthändler nicht angegriffen sehen möchten. Das Ergebnis ist ein in mehrerer Hinsicht packendes Buch, das den Leser in ein komplexes und hochaktuelles Gefüge im Spannungsfeld zwischen Kunst und Verbrechen einführt.  

Falls man übrigens denken sollte, dass all dies für Griechenland doch nicht mehr wirklich zuträfe, weil dort schon so viel ausgegraben wurde, irrt man sich. Durch die Fülle an bislang noch nicht archäologisch erschlossenen Stätten und der gleichzeitigen Leere der Kassen ist Griechenland auch weiterhin gefährdet. So wurde etwa in dem Dorf Aidonia auf dem Peloponnes 1976 ein umfangreiches Gräberfeld aus mykenischer Zeit gefunden: „Zwei rivalisierende Banden kämpften mit Schusswaffen um den Besitz des Friedhofes, und danach gruben die Sieger monatelang dort. 1978 waren die Grabstätten leergeräumt und infolge der Gewalt zerbrach die Gemeinde. 2007 war nur noch ein Haus dort bewohnt – das eines Grabräubers.“ (S. 29) 

Günther Wessel: Das schmutzige Geschäft mit der Antike: Der globale Handel mit illegalen Kulturgütern. 2. Auflage März 2016. Ch. Links Verlag Berlin, 192 Seiten. ISBN 978-3-86153-841-7

AUTOR:
Günther Wessel, geboren 1959, studierte Germanistik und Philosophie und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist und Lektor. Er ist Autor zahlreicher Hörfunkfeatures über Südamerika, schrieb Reiseführer und Biografien und arbeitet heute als Radiojournalist und Sachbuchautor in Berlin. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.